Zwischenstation Gegenwart

Zwischenstation Gegenwart



Über das Buch:



Nur knapp sind Laura und Phil mit heiler Haut von ihrem letzten Auftrag in die Gegenwart zurückgekehrt. Mit Erschrecken müssen sie feststellen, dass der Arm ihres Widersachers bis in ihre Zeit zu reichen scheint. Ein anderer Zeitreisender wird in der Vergangenheit überfallen und überbringt Phil eine rätselhafte Botschaft. Bevor sich Laura und Phil der Entschlüsselung der Nachricht widmen können, wird Laura Opfer eines weiteren Überfalls. 

Die Folgen davon sind fatal: Fehlt ihr doch jegliche Erinnerung daran, dass sie jemals Zeitreisende war und Phil ist für sie nur noch der nervige Kollege, mit dem sie so wenig wie möglich zu tun haben will. 

Phil lässt nichts unversucht Lauras Erinnerungen wiederherzustellen und sich den Weg zurück in ihr Herz zu kämpfen.



Leseprobe:


Achtung: Die Handlung schließt unmittelbar an "Einsatzort Vergangenheit" an, somit sind einige Spoiler gleich zu Beginn möglich.

Bis vor wenigen Monaten war ich felsenfest davon überzeugt gewesen, das Lehrerin zu sein mein Traumberuf sei. Doch an einem denkwürdigen Tag im September wurde die Welt, wie ich sie kannte, auf den Kopf gestellt. Seitdem war ich zu der Überzeugung gekommen, dass es mir wesentlich besser gefiel, Zeitreisende zu sein. Vor allen Dingen, wenn Montagsmorgens der Wecker klingelte und man zur Schule musste.
   »Nur noch ein paar Minuten, Meg«, murmelte ich, als mich der Wecker aus meinen tiefen Träumen riss.
   »Hast du vergessen, dass deine Zofe dich verraten und verkauft hat?«, ertönte statt der Stimme meiner Zofe, die meines Partners und Freundes Phil. Ich schlug die Augen auf, blinzelte einige Male und blickte ihn verschlafenen an. Er lag neben mir und schien hellwach zu sein, wenn man nach seinem fröhlichen Grinsen gehen konnte, mit dem er mich anstrahlte. Er beugte sich zu mir hinüber und gab mir einen kurzen, aber sehr liebevollen Kuss. Das war eindeutig angenehmer, als wenn mich Meg geweckt hätte. Meg! Wehmütig dachte ich an die Zeit, die ich bis vor Kurzem noch am Hofe von Elizabeth I. verbracht hatte und leider auch daran, dass mich dieses kleine Biest hintergangen hatte. Ich hatte ihr vertraut und sie hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als jeden unserer Schritte an den Chef des Geheimdienstes weiterzuleiten. Nur mit Haaresbreite waren wir ihm entkommen und waren in allerletzter Minute in das 21. Jahrhundert geflohen. Wahrscheinlich glaubten die Wachen bis an ihr Lebensende, dass wir mit dem Leibhaftigen im Bunde gewesen waren. Wie sonst sollten sie es sich erklären, dass wir schlagartig vor ihren Augen verschwunden waren?
   »Außerdem sind wir wieder in der Gegenwart, wo ich keine Zofe oder andere Bedienstete mehr brauche«, erwiderte ich mit leisem Bedauern in der Stimme. Es hatte definitiv Vorteile gehabt, ein Heerschaar von Personal um sich zu wissen, das einen von morgens bis abends umhegte und pflegte.  Ich hatte mir keine Gedanken darum machen müssen, wie meine Kleidung sauber wurde oder wie meine Wohnung aussah, alles war immer perfekt aufgeräumt gewesen. Doch dem Ganzen hinterher zu jammern nutzte nichts, unser Auftrag war zu Ende und wir waren sicher in der Gegenwart gelandet. Nun hieß es: zurück zu Schularbeiten und Elternabenden!
»Wenn du solche Entzugserscheinungen hast, dann kann ich dir gerne behilflich sein, in deine Kleider zu kommen. Du weißt, dass ich da gar nicht mal so schlecht drin bin«, bot Phil sich an.
   »Um ehrlich zu sein, bevorzuge ich es, wenn du mir aus meinen Kleidern hilfst«, erwiderte ich auffordernd.
   »Na, das höre ich doch gerne!« Schon im nächsten Moment war er an meiner Seite und fing an mich mit Küssen zu liebkosen und mit seinen Händen zu streicheln, dass ich garantiert an einiges dachte, nur nicht mehr daran das Bett zu verlassen. Ganz im Gegenteil.

Nur widerwillig warf ich eine ganze Zeit später die Decke beiseite und machte mich langsam auf den Weg ins Badezimmer. Wir waren seit fast einer Woche wieder im 21. Jahrhundert und noch immer fiel es mir schwer, mich wieder in mein normales Leben einzugewöhnen. Das morgendliche Aufstehen war der schwierigste Teil für mich, gefolgt vom rechtzeitig in der Schule sein. Nicht, dass ich mich wirklich auf die Arbeit in der Schule freute. Merkwürdig, wie mein Leben sich geändert hatte, dachte ich für mich. Ich hatte immer gedacht, dass ich gerne Lehrerin war, aber nun merkte ich, dass ich es kaum abwarten konnte, wieder auf Zeitreise zu gehen. Mir war klar, dass ich in den nächsten Monaten eine Entscheidung treffen musste. Ich wollte nicht mehr auf Dauer an der Schule bleiben, aber wie woher sollte das Geld kommen? Ich hatte für meinen Einsatz im elisabethanischen England eine ordentliche Summe überwiesen bekommen, die ich beiseitegelegt hatte. Doch wie würde sich das zukünftig gestalten? Konnte ich genug verdienen, um die Schule aufzugeben? Phil zu fragen, war müßig. Dank eines äußerst großzügigen Treuhandfonds, den seine Mutter ihm hinterlassen hatte und sehr fähigen Finanzberatern mehrte sich sein Geld monatlich, ohne dass er dafür auch nur einen Finger krummmachen musste. Hinzu kam, dass Richard mich eigentlich nur hatte einsetzen wollen, wenn man eine Frau brauchte, doch, was das anging, musste ich mir wohl keine Gedanken mehr machen. Dafür war auf der letzten Zeitreise zu viel geschehen, als dass ich nur noch Aushilfe war.
Ich ging unter die Dusche, stellte das warme Wasser an und genoss den heißen, dampfenden Wasserstrahl, der auf mich hinabprasselte. Die Dusche war eine der Sachen, mit denen ich mich nach unserer Rückkehr ganz schnell wieder angefreundet hatte, genauso wie der Toilette und der Kaffeemaschine. Wären wir noch länger im 16. Jahrhundert gewesen, hätte ich vermutlich denjenigen ausfindig gemacht, der das WC in Elisabeths Schloss eingebaut hatte, und hätte ihn ein ebensolches in unser Haus einbauen lassen, über kurz oder lang hätte ich Abtritt und Nachttopf nicht mehr ausgehalten.
So in Gedanken versunken, bekam ich nicht mit, wie die Tür zum Bad sich öffnete und jemand das Bad betrat. Erst als der Duschvorhang zur Seite geschoben wurde, schreckte ich aus meinen Gedanken auf.
   »Und du bist dir ganz sicher, dass du alleine zurechtkommst?«, fragte Phil grinsend. Ein Blick über seinen muskulösen und durchtrainierten Körper ließ die Lust, die wir gerade erst gemeinsam erlebt hatten, wieder aufflackern. Wenn nicht die verdammte Badezimmeruhr hinter ihm gewesen wäre, die mir zeigte, dass wir knapp dran waren, hätte ich ihn mir sicherlich geschnappt, um ein weiteres Mal von ihm vernascht zu werden. Stattdessen sah ihn mit bedauernden Augen an und erwiderte:
   »Wir sind spät dran!« Was zur Folge hatte, dass sich sein anzügliches Grinsen in ein Schmollen verwandelte.
   »Habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass du viel zu praktisch bist?« Mit diesen Worten kam er unaufgefordert unter die Dusche und stellte sich zu mir unter den rauschenden Wasserstrahl. Er nahm mein Duschgel und fing an mich von oben bis unten einzuseifen.
   »He, so haben wir aber nicht gewettet«, hob ich protestierend an, kam aber nicht viel weiter, denn schon im nächsten Augenblick hatte er mir mit seinen Lippen den Mund verschlossen. Leicht knabberte er an meiner Unterlippe, ließ seine Zunge in meinen Mund gleiten und seine Hände begannen mich sanft zu streicheln. Begierig ließ ich meine seifigen Hände über seinen Körper fahren, zog ihn dichter zu mir und presste mich enger an ihn. Doch statt dort weiterzumachen, wo er angefangen hatte, griff er zum Shampoo und fing an meine Haare einzuseifen!
   »Und was soll das jetzt bitte?«, fragte ich enttäuscht.
   »Du hast gesagt, dass wir spät dran sind und um Zeit zu sparen duschen wir gemeinsam! Für alles andere findet sich heute Abend wieder Zeit.« Wie zur Bestätigung seiner Worte ließ er seine Hand zu meiner Brust gleiten und strich, wie unbeabsichtigt über eine der Brustwarzen. Sofort fuhren mehrere Blitze durch meinen Körper.
   »Du bringst das besser jetzt zu Ende, sonst fürchte ich, wird das mit uns heute Abend nichts mehr, weil ich dich vorher hochkant rausschmeiße!«, drohte ich ihm in scherzhaften Ton.
   »Ihr Wunsch ist mir Befehl, my Lady!«, antwortete er mit einem lüsternen Blick und vielversprechenden Lächeln.

Nach unserer sinnlichen Dusche waren wir allerdings wirklich sehr knapp dran und mussten uns ziemlich beeilen, dass wir nicht doch noch viel zu spät kamen. Schnell trocknete ich meine Haare, drehte sie zu einem Knoten, zupfte eine paar Strähnchen heraus, damit ich nicht zu streng aussah, legte ein leichtes Make-up auf und zog mich in Windeseile an. Was für ein Unterschied zum 16. Jahrhundert, da hatte ich morgens mehrere Stunden gebraucht, bis ich fertig war und jetzt dauerte es noch nicht mal mehr eine halbe Stunde. Auch Phil hatte sich beeilt und angezogen und mir in der Zwischenzeit, die ich noch im Bad verbracht hatte, einen Kaffee gemacht, den er mir in einem Thermobecher überreichte.
   »Willst du es dir nicht doch noch mal überlegen, mit mir zusammenzufahren? Mit mir wärst du bestimmt schneller da!« Da hatte er wohl recht, denn Phils Fahrweise war, wie soll ich es sagen, ohne ihm zu nahe zu treten? Zügig? Ja, ich glaube, das traf es wohl am besten; für Beifahrer mit Todesangst verbunden. Ich war gerade dabei meine Tasche zu packen und hielt mit einem Seufzer inne.
»Das haben wir bereits mehrfach ausdiskutiert, ich möchte nicht, dass alle über uns tratschen, wenn wir zusammen ankommen!«
   »Sollen sie doch tratschen, was interessiert uns das? Von mir aus kann die ganze Welt wissen, dass ich dich liebe.« Eine wohlige Gänsehaut überlief mich bei seinen Worten. Vor mir stand, der so ziemlich attraktivste Mann, der auf Erden wandelte, und erklärte mir, dass er mich liebte. So ganz hatte ich mich noch nicht daran gewöhnt, dass ich diejenige war, der er seine Liebe schenkte und somit sorgten seine Worte noch immer für dieses herrlich warme Gefühl in meinem Magen. Ich ließ meine Tasche Tasche sein, ging auf ihn zu und schlang meine Arme um seinen Hals.
»Das sollst du auch tun dürfen, aber bevor es meine Kollegen wissen, hätte ich dich gerne meinen Eltern vorgestellt. Und Marie möchte ich auch über meinen neuen Beziehungsstatus in Kenntnis setzen.« Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen zärtlichen Kuss.
   »Na gut, aber bald, versprochen? Reicht eh schon, dass ich weiterhin wegen der blöden Presse zur Schule muss«, knurrte er widerwillig und befreite sich sanft aus meiner Umarmung. Bisher hatte er nur Anrufe eines Journalisten erhalten, der ein Interview mit ihm hatte führen wollen. Phil hatte mit den Worten, dass es in seinem Leben nichts Nennenswertes gäbe, worüber man berichten könnte, abgelehnt. Doch der Mann hatte bisher nicht locker gelassen und Phil befürchtete, dass es nicht mehr lange dauern würde und er müsse dem nachgeben, bevor die Journalisten tiefer graben würden und Dinge herausfanden, die nicht ans Tageslicht gehörten. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass Phil gar kein Lehrer war. Den Skandal, den es mit sich bringen würde, wollte er um alles in der Welt vermeiden.
   »Versprochen und jetzt los Herr Berger, Ihre Klasse wartet auf Sie!«, trieb ich ihn zur Eile an, schnappte mir Tasche und Kaffee und verließ zusammen mit Phil meine Wohnung. Im Flur gab ich ihm noch einen letzten Kuss, sobald wir das Haus verlassen hatten, waren wir nicht mehr das Liebespaar, sondern nur noch Kollegen.

Knapp zwanzig Minuten später war ich in der Schule angekommen und bog auf den Lehrerparkplatz ein. Beim Anblick von Phils Wagen musste ich grinsen, wie hatte er es nur wieder geschafft vor mir anzukommen? Doch allzu lange Zeit mir darüber Gedanken zu machen, hatte ich nicht, denn in wenigen Minuten würde der Unterricht beginnen und ich hatte noch ein paar Sachen aus dem Lehrerzimmer zu holen.
Im Lehrerzimmer herrschte rege Betriebsamkeit, kein Wunder so kurz vor Schulbeginn. Automatisch suchten meine Augen den ganzen Raum nach Phil ab und wurden bei der Kaffeemaschine fündig. Er stand mit der neuen Referendarin zusammen. Wie ein kleines Mädchen stand sie vor ihm, himmelte ihn an und textete in mit wasserfallartigen Wortergüssen zu, denn ich bekam mit, wie er ab und an mit dem Kopf nickte, aber nicht zu Wort kam. Es schien so, als sei der Philemon-Berger-Fanklub wieder um ein weiteres Mitglied bereichert worden zu sein. Ob ich darüber lachen oder weinen sollte, war mir nicht ganz klar. Sein gutes Aussehen und sein Charme würden wohl immer dafür sorgen, dass die Frauen ihn umschwärmten wie Motten das Licht. Vielleicht hatte er gar nicht mal so unrecht gehabt, als er meinte, dass wir unsere Beziehung öffentlich machen sollten. Es könnte dafür sorgen, dass sich die Kolleginnen etwas mehr zurückhielten. Und wenn sich der Sturm der Empörung, oder wie auch immer die Reaktionen ausfallen würden, gelegt hatte, wären wir vielleicht völlig ungestört.
   »Sie wird schon früh genug merken, dass sie derzeit keine Chance bei ihm hat«, unterbrach die Stimme meiner Kollegin Sarah Kleinhagen meine Gedanken. Unbemerkt war sie neben mir aufgetaucht und schaute gemeinsam mit mir zu Phil und der schmachtenden Referendarin.
   »Was meinst du damit?«, verwirrt blickte ich zu ihr.
   »Ich glaube, er ist frisch verliebt oder warum sonst hat er plötzlich aufgehört sich für die Frauen zu interessieren, die sich ihm in Scharen zu Füßen werfen«, erläuterte sie mir. In diesem Moment hätte ich Sarah für ihre scharfe Beobachtungsgabe umarmen und abknutschen können. Ich war mir seiner Gefühle sicher, doch es freute mich, dass auch andere zu merken schienen, dass er nicht mehr auf dem Markt war.
   »Ist mir noch gar nicht aufgefallen, dass er nicht mehr jede angräbt«, gab ich betont lässig zur Antwort. Sarah war zwar nicht nur eine Kollegin, sondern war mir im Laufe der Jahre zur Freundin geworden, doch irgendetwas hielt mich davon ab, ihr die ganze Wahrheit zu erzählen.
   »Kein Wunder, du hast dich ja noch nie sonderlich für ihn interessiert. Zu DIR ist er weiterhin äußerst zuvorkommend und höflich. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich fast sagen, dass du diejenige bist, mit der er seit kurzem sein Bett teilt!« Verdammt, wie kam ich jetzt nur aus der Geschichte wieder raus?
   »Wer weiß, vielleicht mache ich das auch?«, zwinkerte ich ihr zu. Damit war ich fein raus, ich hatte ihr die Wahrheit gesagt und doch würde sie mir nicht glauben, dessen war ich mir sicher.
   »Ja klar, weil ihr euch auch so gut versteht. Aber vielleicht ist das der Grund, warum er dich beachtet, du läufst ihm nicht wie ein kleines Hündchen hinterher. Das nagt bestimmt an seinem Selbstbewusstsein und er versucht bei dir Boden gut zu machen.« Ich hatte gewusst, dass sie es mir nicht abkaufen würde. Sollte sie mir zu einem späteren Zeitpunkt vorwerfen, dass ich sie nicht früher eingeweiht hatte, konnte ich ihr immer wieder sagen, dass ich sie nicht angelogen hatte.
   »Mag sein. Du, ich muss jetzt los, der Unterricht fängt gleich an«, sagte ich mit bedauerndem Blick.
   »Und ich muss leider in die Acht c, wenn die Stunde doch nur schon vorbei wäre! Wir sehen uns nachher wieder«, seufzte sie und machte sich auf den Weg in eine Klasse, in der Pubertät groß geschrieben wurde und die Hoffnung von morgen sich um alles kümmerte, nur nicht um Schule. Ich holte schnell meine Sachen aus meinem Fach und ging ebenfalls zum Unterricht.
Obwohl wir uns an diesem Tag einige Male über den Weg liefen, hatten Phil und ich keine Chance auch nur einmal ungestört zu sein; ständig waren wir von anderen umgeben. Als ich nach Schulschluss auf den Parkplatz kam, stellte ich fest, dass sein Wagen bereits weg war. In der Hoffnung, dass er mir eine Nachricht über seine weiteren Pläne geschrieben hatte, fischte ich mein Handy hervor und wurde nicht enttäuscht:
   »Bin im Büro, warte dort auf dich.« Sofort überkam mich ein kribbelndes Gefühl der Aufregung. Stand etwa schon der nächste Auftrag an? Und wenn ja, wo würde es hingehen? Und würden wir dort auf Klaus treffen? Die Erinnerung an den Mann, der mich hatte zwingen wollen, Phil umzubringen, ließ mir einen gehörigen Schauer über den Rücken laufen. Dieser Wahnsinnige wollte sich an Richard rächen und hatte gehofft, dass ich ihn dabei unterstützte. Womit er nicht gerechnet hatte, war, dass ich ein Verhältnis mit Phil hatte und ihn liebte. Bei meinem Versuch Klaus auszuschalten, war ich gescheitert und er hatte uns mit der Drohung, uns das heimzuzahlen, verlassen. Somit würde jeder Auftrag, den wir in Zukunft bekamen, noch die zusätzliche Gefahr auf Klaus zu stoßen, mit sich bringen. Aufgeregt und neugierig setzte ich mich in mein Auto und schlug sogleich den Weg Richtung Zeitreisebüro ein.

Meinen Wagen parkte ich in der Tiefgarage des Gebäudes und fuhr mit dem Aufzug direkt in die Etage, in der Richard sein Büro hatte. Im Vorzimmer saß Silvia, seine Assistentin, und als sie meiner ansichtig wurde, verzog sie ihren Mund zu einem spöttischen Grinsen.
   »Und ich dachte schon, du hättest uns verlassen!«, begrüßte sie mich herablassend.
   »Träum‘ weiter! Ist Richard da?« Aus unerfindlichen Gründen hatte sie seit unserer ersten Begegnung eine tiefe Abneigung gegen mich und ließ mich das bei jeder sich bietenden Gelegenheit spüren. Verkniffen nickte sie.
   »Aber du kannst da jetzt nicht rein, Phil ist drinnen!« Sie kam sich ganz besonders wichtig vor, wie sie so die Türwächterin spielte.
   »Ich weiß, er hat mir eine Nachricht geschrieben und mich gebeten herzukommen. Wärst du also bitte so nett und fragst Richard, ob ich reinkommen kann?«, bat ich sie in meinem höflichsten Tonfall, wobei ich nichts lieber getan hätte, als ihr ihr arrogantes Grinsen aus dem Gesicht zu wischen.
   »Als ob sie für dich eine Ausnahme machen würden!«, griff aber dann doch zum Telefonhörer und wählte Richards Nummer. Er ging sofort an den Apparat und sie ließ ihn wissen, dass ich da war. Seine Antwort war eindeutig, wie man ihrem Gesicht ansehen konnte. Ihr noch eben herablassendes Lächeln fiel wie ein Soufflé in einem zu früh geöffneten Backofen in sich zusammen und sie sagte noch:
   »Ist gut, mach ich«, bevor sie auflegte und mich mit sauertöpfischer Miene ins Büro schickte.
   »Vielen Dank!«, flötete ich und ging geradewegs zu der Tür, die ins Nebenzimmer führte. Im Innern wurde ich schon sehnsüchtig von Phil erwartet, denn kaum war ich eingetreten, sprang er von seinem Sitz auf und kam mir eilig entgegen. In einer flinken Bewegung hatte er mich in seine Arme gezogen und küsste mich zur Begrüßung. Was die Schmetterlinge in meinem Bauch mal wieder zu einer munteren Tanzeinlage aufforderte und mir kurzzeitig die Luft wegblieb, bis mir einfiel, wo wir uns befanden und dass wir nicht alleine waren. Peinlich berührt löste ich mich von Phil und versuchte ein wenig Distanz zwischen uns zu bringen, bisher hatten wir Richard noch nicht wissen lassen, dass uns mehr als nur berufliche Partnerschaft verband.
   »Wie du siehst, komme ich deiner Bitte gerne nach und werde mich künftig nur noch mit dieser Frau sehen lassen«, sagte Phil, an seinen Onkel gewandt. Fragend blickte ich zwischen den beiden hin und her.
   »Wollt ihr mir vielleicht sagen, was hier los ist?«, begrüßte ich sie ratlos, Phil nahm meine Hand und zog mich zu der Sitzgruppe, auf der er bisher gesessen hatte.
»Richard macht sich Sorgen um meinen Ruf«, fing er grinsend an. Verständnislos blickte ich zwischen den beiden Herren hin und her.
   »Philemon hat sich in der Vergangenheit nicht unbedingt als Freund von langfristigen Beziehungen hervorgetan. Heute Morgen hat schon wieder einer von diesen Presseheinis angerufen und wollte ein Interview mit ihm. Ich befürchte, dass es nicht mehr lange dauern wird und sie werden Fotografen auf ihn ansetzen, die jeden seiner Schritte verfolgen. Ich habe ihn gebeten, dass er sich eventuell mal etwas zurückhaltender zeigen könnte, und seine Frauen nicht mehr im gleichen Rhythmus wie seine Hemden wechselt«, brachte Richard etwas Licht ins Dunkle.
   »Ehe ich ihm Näheres sagen konnte, kamst du und ich dachte mir, dass das der beste Zeitpunkt ist, ihm die gute Nachricht zu überbringen«, fuhr Phil in seinen Erklärungen fort. Dabei ließ er meine Hand keinen Moment los, sondern streichelte sanft mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Ein wenig beschämt blickte ich zu Richard; unsicher, wie seine Reaktion ausfallen würde, vermied ich es ihm direkt ins Gesicht zu sehen. Immerhin war das sein Neffe, sein einzig lebender Verwandter, den ich mir zum Freund ausgesucht hatte und nicht nur ein einfacher Angestellter. Doch meine Sorge schien unbegründet, denn ein freudiges Strahlen breitete sich auf dem Gesicht meines Gegenübers aus und er nickte mir wohlwollend zu. Ob er wohl die Steine hören konnte, die da von meinem Herzen gefallen waren? Denn es Richard zu sagen, war der Punkt, vor dem ich mich bisher am meisten gefürchtet hatte. Was, wenn er mit unserer Beziehung nicht einverstanden gewesen wäre? Er hätte mich sofort entlassen können und es wäre damit fast unmöglich für uns geworden eine normale Beziehung zu führen.
   »Ich muss zugeben, ich hatte gehofft, dass sich zwischen euch etwas entwickelt und freue mich sehr für euch«, ließ er verlauten. Ich hatte mich wohl verhört, er hatte das so gewollt? Was hätte er denn getan, wenn es nicht so gekommen wäre? Gehofft, dass wir uns nicht umbrachten? Denn zu Beginn unserer Bekanntschaft hatten wir kein gutes Haar am anderen gelassen.
   »Wie bitte?«, fragte dann auch Phil ungläubig.
   »Zwischen euch hat es geknistert, dass ein Blinder mit Krückstock es gesehen hat, außer euch selbst. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Knoten platzt!« Ich tauschte einen schnellen, belustigten Blick mit Phil aus. Geplatzt war uns vor allen Dingen der Kragen, bevor wir zusammen im Bett gelandet waren. Fast kein Tag war vergangen, an dem wir uns nicht in den Haaren gelegen hatten. Bevor wir jedoch das Thema weiterverfolgen konnten, klingelte Richards Telefon und er nahm den Anruf entgegen. Was immer es war, was ihm sein Gesprächspartner mitteilte, es konnte nichts Gutes sein, denn seine Miene war mit einem Schlag sorgenvoll und finster.
»Entschuldigt mich, wir haben einen Zwischenfall im Rückkehrraum. Ich muss sofort hin«, gab er uns zur Erklärung und schon war er zur Tür herausgeeilt.
   »Was kann das bedeuten?«, wollte ich von Phil wissen.
   »Ich habe nicht den blassesten Schimmer. Lass uns auch runter gehen«, erwiderte Phil besorgt und stand auf, um Richard zu folgen. Es dauerte nicht lange und wir waren an dem Raum angelangt, in dem wir Zeitreisenden von unseren Reisen zurückkamen. Phil ging jedoch nicht zur Tür herein, sondern betrat das angrenzende Zimmer und bat mich ebenfalls einzutreten. Wie man es aus Polizeiserien kennt, befanden wir uns in einem Raum, der durch eine verdeckte Scheibe den Blick auf den Rückkehrraum freigab. Der Rückkehrraum war ein einfacher, weiß gekachelter Raum ohne Fenster, in dem sich keine Möbel oder Sonstiges befanden, lediglich eine Deckenlampe brachte Licht hinein. Dort lag auf dem Boden ein Mann in historischer Kleidung, der sich vor Schmerzen krümmte. Seine Kleidung war zerrissen und an einigen Stellen konnte ich Blut erkennen, auch sein Gesicht hatte einiges abbekommen und wies Schrammen und Blutspuren auf. Erschrocken packte ich Phil am Oberarm. Ich kannte den Mann, sein Name war Lars Schmelzer und er war ebenfalls Zeitreisender. Ich war ihm bereits mehrere Male im Hause begegnet und wir hatten immer mal wieder ein paar Worte miteinander ausgetauscht und nun lag er schwer verletzt vor uns. Was war geschehen?
Die Tür zum Raum öffnete sich und Richard, zusammen mit Dr. Schmitzke stürmte herein. Die Ärztin des Büros kniete sogleich neben dem verletzten Mann nieder und begann ihn zu untersuchen. Dank einer eingebauten Lautsprecheranlage konnten wir jedes Wort, das im Nachbarraum gesprochen wurde, verstehen.
   »Lars, kannst du mich hören? Was ist passiert?«, bestürmte Richard den auf dem Boden liegenden Mann, der stöhnte jedoch nur und blieb ansonsten stumm.
»Richard willst du wohl aufhören! Das ist ein Notfall!«, herrschte ihn Dr. Schmitzke an und warf ihm einen wütenden Blick zu. Sie begann ihn auf Vitalfunktionen zu prüfen, schien ihn mit einer kleinen Lampe ihn die Augen und sprach ihn langsam an.
   »Lars, wenn du mich hören kannst, dann nicke bitte mit dem Kopf!« Für einen Moment geschah nichts, dann jedoch ein leichtes, zögerliches Nicken des Zeitreisenden. Er setzte zum Sprechen an, musste aber aufhören, um zu husten, dabei spuckte er etwas Blut.
   »Immer schön ruhig bleiben. Wir bringen das in Ordnung!«, redete Richard beruhigend auf ihn ein.
»Phil …«, stammelte er. Überrascht blickte Richard in unsere Richtung, er schien zu wissen, dass wir im Nebenraum waren.
   »Was ist mit Phil?« Richards Miene wurde, wenn überhaupt noch möglich, noch besorgter.
   »Ich habe eine Nachricht für ihn. Von einem Klaus!« Totenstille. Dr. Schmitzke hielt in ihrer Arbeit inne und schien abzuwarten, was Richard tun würde. Noch immer hielt ich Phils Oberarm fest, meine Finger verkrallten sich fest in ihm, doch er schien es gar nicht zu merken. Als schien es ihm jetzt erst bewusst zu werden, dass er der Angesprochene war, drehte er sich abrupt um und stürmte aus dem Raum raus und war schon im nächsten Moment im Rückkehrraum. Ich selbst blieb auf der anderen Seite der Scheibe und beobachtete das Geschehen.
   »Hier bin ich, Lars! Was hat dieses Schwein dir angetan? Hat er dich so zugerichtet?« Er kniete neben dem verletzten Kollegen und sah ihn ernst an. Lars nickte wiederholt.
»Er hat mich in einen Hinterhalt gelockt und mich zusammengeprügelt. Ich dachte mein letztes Stündlein hätte geschlagen, da ließ er seinen Handlanger abziehen. Er hat mich am Leben gelassen, damit ich dir was sage!«, brachte er mit brüchiger Stimme hervor, immer wieder unterbrochen von Husten.
   »Was hat er dir gesagt?«, aufgebracht zog Phil den armen Kerl am Revers seines Kragens und schüttelte ihn. Wäre Richard nicht gewesen, hätte er ihn wahrscheinlich noch Prügel angedroht, so wütend und aufgebracht war er.
   »Das reicht, Junge. Er ist schon verletzt genug, da brauch er dich nicht auch noch!«, wies ihn sein Onkel scharf zurecht. Beschämt hielt Phil inne und ließ den Kragen des am Bodenliegenden los.
   »Tut mir leid! Also, welche Nachricht hast du für mich!«, entschuldigte er sich kleinlaut.
   »Ich soll dir sagen, dass du genauso leiden sollst, wie er!«, kam es stockend von dem verletzten Zeitreisenden. Seine Worte ergaben keinen Sinn für mich. Auch Phil schien sich keinen Reim auf das Gesagte machen zu können, wie ich es an seinem Gesichtsausdruck erkennen konnte.
   »Theresa, bring Lars ins Krankenzimmer und sieh zu, dass er versorgt wird. Phil, du gehst mit Laura in mein Büro zurück, wartet dort auf mich!«, ordnete Richard ruhig an, seine angespannte Miene ließ jedoch erkennen, dass er alles andere als gelassen war.

Wie Richard es uns befohlen hatte, machten wir uns auf den Weg zurück in sein Büro und ließen uns erneut auf der Couch nieder. Eine Weile schwiegen wir, während ich das Geschehene noch einmal in Gedanken durchging, und versuchte den Sinn dieser Nachricht zu verstehen.
   »Wir wissen, dass er uns töten will, warum schickt er dann diese Nachricht?« Noch immer wollte es mir nicht einleuchten, was Klaus damit bezweckte.
   »Für mich klingt es so, als wollte er mich verletzt in einer Zeit ohne Zeitmaschine aussetzen! So, wie er glaubt, dass Richard es mit ihm getan hat. Um ehrlich zu sein, habe ich keinen Plan, was dieser Wahnsinnige damit meint«, mit einer fahrigen Handbewegung fuhr sich Phil durch seine Haare.
   »Ich glaube, so falsch liegst du damit nicht, Philemon«, ertönte Richards Stimme von der Tür her. Unbemerkt hatte er den Raum betreten und kam nun wieder zu uns. Mit einem Seufzen ließ er sich auf einem der Sessel nieder und betrachtete uns aufmerksam. Er wirkte so müde und erschöpft, als würde ihm alles über den Kopf wachsen und ich bekam Mitleid mit ihm. Nicht nur, dass er wusste, dass Klaus hinter ihm her war, die Angst um seinen Neffen, den er wie einen Sohn liebte, war mit einem Mal noch größer geworden.
   »Und was jetzt? Sollen wir dorthin reisen, wo Lars war und Klaus suchen, damit wir diesem Schwein endlich das Handwerk legen können?«
»Wie stellst du dir das vor? Lars war in Paris des Jahres 1793, die Französische Revolution ist gerade auf ihrem Höhepunkt. Paris ist ein Hexenkessel, glaubt ihr, dass ihr Klaus dort findet?«, warf Richard ein.
   »Aber wir können ihn doch nicht ungeschoren davon kommen lassen, was kommt als Nächstes? Ein toter Zeitreisender mit der nächsten Nachricht für mich?«, Phils Stimme schwoll an und wurde lauter.
   »Er hat recht, Phil. Es bringt nichts, wenn wir uns jetzt in die Zeit bringen, zumal wir auch nicht wissen können, ob Klaus sich noch dort befindet. Was sagt die Zeitschiene, Richard?«, beschwichtigte ich meinen Freund und legte meine Hand auf seine und hielt sie fest. Richard warf mir einen dankbaren Blick zu.
   »Keine Abnormalitäten mehr, wenn er noch dort ist, dann hat er jedenfalls nicht mehr vor, die Geschichte zu ändern«, lautete seine Antwort auf meine Frage.
   »Sollen wir jetzt warten, bis er sich Einen nach dem Anderen von uns schnappt und zerstümmelt nach Hause schickt?« So leicht wollte Phil nicht aufgeben, aber ich konnte seine Haltung nachvollziehen. Dort unten lag ein Mann, der nur verletzt worden war, weil sich ein Verrückter in den Kopf gesetzt hatte, sich an uns zu rächen und ihm waren die Hände gebunden. Mir ging es nicht anders als ihm, und wenn wir gekonnt hätten, wären wir vermutlich so schnell es ging ins Paris der Französischen Revolution gereist.
   »Nein natürlich nicht, aber es gibt nichts, was wir im Moment tun können! Ich vermute, dass euer nächster Auftrag euch zu ihm schicken wird. Er wird nicht mehr lange warten wollen und dann zuschlagen. Ich kenne ihn, er war noch nie der Geduldigste!«
   »Verdammt Richard, ich hasse es so hilflos zu sein, aber du hast recht. Wir können nur abwarten«, gab Phil schließlich nach einer Weile des Schweigens von sich.


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