Schreibklausur oder 10 Tage Wahnsinn / Teil I

Die Beendigung von "Eine tugendhafte Lady" steht bevor und ich habe nur noch wenige Tage, bis das Buch in Lektorat muss. Was also liegt näher, als sich Schreiburlaub zu nehmen, damit ich von morgens bis abends am Manuskript arbeiten kann? Die zwei, vielleicht drei Stunden, die ich nach Feierabend Zeit habe, reichen einfach nicht aus. Zumal einige Baustellen mich länger unterwegs sein lassen, als mir lieb ist.
Lange, lange habe ich überlegt, ob ich nur freimachen oder wie bei anderen gesehen wegfahren soll. Es hätte durchaus seinen Reiz gehabt, irgendwohin zu fahren und mich nur auf das Manuskript kümmern zu können. In meiner Fantasie hatte ich die klassischen Bilder von Schriftstellerin am Meer und so weiter.  Die Muse, die Inspiration. Ich habe mich lange Spaziergänge machen sehen. Spaziergänge? Ich muss arbeiten und was mache ich, wenn das Wetter schlecht ist?
Nein, ich bleibe zu Hause und arbeite von da aus. 

Tag 1: 


Am Freitagmorgen geht es los. Das Finale des Buchs steht bevor und ich weiß, dass mich nur noch wenige Seiten vom Happy End treffen. Ich bin hochkonzentriert, arbeite mich in die Geschichte, bis ja bis, mein Mann um viertel vor vier erklärt, dass er Feierabend macht. Entsetzt schaue ich auf die Uhr, viertel vor vier? Er kommt normalerweise nie vor sechs heim, auch freitags nicht. Im Gegensatz zu mir, muss er auch nicht durch das halbe Rhein-Main-Gebiet pendeln und ist zehn Minuten später zu Hause (und das mit dem Fahrrad, irgendwie bin ich neidisch, was das angeht) Der erste Tag ist offiziell beendet, da wir abends noch verabredet sind.

Tag 2:
Der beste Ventilator ever - Kaninchen bewachen mich
Es ist Samstag und der Tag soll der heißeste des Jahres werden. Die Fenster sind noch weit geöffnet, um wenigstens so viel kühle Luft wie möglich hereinzulassen, bevor die Hitze zuschlägt. Ich habe Kopfschmerzen. Kommen die vom Wein auf dem Weinmarkt? Wohl kaum, denn es war über mehrere Stunden verteilt etwas mehr als eine halbe Flasche - Weißwein, leicht, versteht sich. Aber was mich nicht umbringt ... Ähm nein. Ich sitze da und starre auf den Bildschirm. Wie heißt das Wort, das ich gerade schreiben wollte? Wie buchstabiert man Ägypten? Die Nachbarn rufen an. Ob wir kurz auf ihren Sohn aufpassen können. Wie war das noch mal? Ich wollte wegfahren? Das nächste Mal mache ich das - bestimmt. Großen Dank an den besten Ehemann, dass er das für mich übernommen hat. Ich bin gerade mitten in einer hochdramatischen Szene und kann an nichts anderes denken. Es ist immer noch heiß, aber Ventilatoren sind Zaubergeräte!
Abends als es kühler wird, machen wir die Fenster und Türen auf. Das ist okay, bis der Nachbar wieder anfängt zu grillen. Es ist viertel nach zehn und er grillt. Der Geruch von Grillanzünder aus Plastik schwebt zu mir, der später nur vom Geruch des Grillguts übertüncht wird. Nein, lecker riecht es nicht.
Irgendwie lässt mich die Geschichte nicht los und am Abend kann ich nicht aufhören zu schreiben. Das Ende ist erreicht und ich kann nicht aufhören.  Nur der Epilog fehlt noch. Es ist eins, als mir die Augen fast zufallen. Morgen ist auch noch ein Tag.

Tag 3:
Sonntag! Wir sind zum Kaffeetrinken bei meiner Schwester eingeladen. Um vier. Bis dahin bin ich fertig. Ich klemme mich hinter meinen Rechner und haue in die Tasten. Irgendwie ziert sich der Epilog noch ein wenig und ich brauche länger als ich gedacht habe. Doch dann, kurz bevor ich fast zwangsweise unter die Dusche beordert werde, um mich fertig zu machen, schreibe ich die magischen vier Worte unter das Buch. Ich fühle mich großartig und könnte die Welt aus den Angeln heben.
Es ist heiß und der Nachbar grillt um viertel nach zehn wieder ... 

Tag 4:
Montag. Es geht los mit der Überarbeitung. Wenn ich ehrlich bin, dann ist es keine richtige Überarbeitung im herkömmlichen Sinn. Denn während ich noch nach der richtigen Auslegung des Finales gesucht habe, habe ich schon einige Zeit vorher angefangen, das bisher geschriebene zu überarbeiten. Hey, ich habe Urlaub, kommt mir der Gedanke. Warum tust du nix für dich? Es ist Zeit für eine Sporteinheit. Eine Stunde, ich fürchte mich jetzt schon vor dem Muskelkater, der mich am nächsten Tag bestimmt überkommen wird. Ich habe monatelang kein bisschen Sport gemacht, das wird sich rächen, ich bin mir sicher. 
Habe ich erwähnt, dass es immer noch heiß ist? Beste Woche überhaupt, abgesehen vom Nachbarn, der was macht? Richtig, um kurz nach zehn mit dem Grillen anfängt.

Tag 5: 
Ich fange an Hedda, die Microsoft Stimme, zu hassen. Denn ich lasse mir das Buch vorlesen. Schnell merke ich, wo ein Wort fehlt oder die falsche Zeit gewählt wurde. Das ist toll und habe es bisher nur bei Patchwork gesehen. Doch nach zehn Stunden Dauerbeschallung durch diese monotone Stimme fange ich an zu verzweifeln und werde immer verwirrter. Habe ich jetzt wirklich selbständig geschrieben, wo nur ein selbst stehen sollte? Ich schaue und stelle fest, dass Hedda auch nur ein Teil eines Computerprogramms ist und darum nur so gut, wie derjenige, der es programmiert hat. Natürlich habe ich selbst geschrieben. Notiz an mich selbst: Ich sollte wieder Geschichten mit deutschklingenden Namen schreiben, denn Hedda ist durch und durch deutsch und spricht auch alles so aus, gerade die Eigennamen. Wobei sie auch melancholisch oder Vergnügen auf eigene Art und Weise betänt. Manchmal muss ich rätseln, was sie gerade gesagt hat. 
Ach so, es ist immer noch heiß. Trotz Terrasse entscheide ich mich meinen Laptop (Tablet) zu schnappen und an den Altrhein zu gehen, um dort zu arbeiten. Bewegung und so weiter ... Der erwartete Muskelkater ist nur ein kleines Miezekätzchen geworden. Habe ich was falsch gemacht? Normalerweise kann ich bei dem Programm drei Tage nicht laufen, wenn ich es nach langer Zeit mal wieder aufnehme. Egal, ich will mich nicht beschweren.
Am Altrhein ist es richtig heiß und keine der Bänke befindet sich im Schatten oder aber die Sohne wandert, bis ich wieder in der Sonne sitze. Schade, ich kehre also nach einer Stunde wieder zurück, bevor ich anfange zu zerfließen. 
Ich denke, das mit dem grillenden Nachbarn muss ich nicht näher ausführen. Es ist die Wahrheit, jeden Abend und immer so, dass der Geruch ins Schlafzimmer zieht, wo wir die Fenster zum Lüften aufgemacht haben. Könnte es morgen Abend bitte, bitte regnen? Nur damit er nicht grillen kann?

Tag 5 ist zu Ende und mit ihm die Hälfte meines Urlaubs. Ich merke, dass ich süchtig bin. Süchtig nach dem Schreiben, nach den Ideen, den Worten, die zu "Papier" gebracht werden wollen. Mein Tag kann nicht lange genug sein, weil es so viel zu tun gibt. Wie kann ich am Ende wieder in den Büroalltag zurückkehren? Ich sehe schwere Zeiten auf mich zukommen. Aber noch habe ich fünf Tage vor mir. Aber von denen berichte ich beim nächsten Mal.



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